Die Orgel in der Kirche St.Johannes zu Oederquart

Text von:
Martin Böcker, Kantor und Organist – Orgelsachverständiger, Kirchenmusikbüro
Cosmaekirchhof 5, D 21682 Stade
Tel. & Fax: ++49 – 4141 – 92 22 19
e-mail: boecker-stade@t-online.de

1678 bis 1682: Der schon mit jungen Jahren berühmte "Orgelmacher" Arp Schnitger baut eine Orgel in der Kirche St. Johannes zu Oederquart. Schnitger, der mit dem Bau der Orgeln in den Kirchen St. Cosmae und St. Wilhadi zu Stade seine "internationale Karriere" aus der Stader Werkstatt heraus begann, erstellte in der Oederquarter Kirche ein großes, repräsentatives Orgelwerk mit 28 klingenden Registern auf 3 Manualen (Hauptwerk, Rückpositiv, Brustwerk) und angehängtem Pedal. Die Leitung des Orgelaufbaus lag in den Händen des Meistergesellen Andreas Weber, wie später auch in Lüdingworth, die Orgel, die 1682 fertiggestellt wurde.
Es gibt noch eine andere Parallele zu Lüdingworth: Hauptwerk und Rückpositiv haben nur zwei kleine Prospektfelder pro Werk. Dieses hat Schnitger nur an diesen beiden Orgeln in Lüdingworth und Oederquart gebaut und später nicht mehr. Das Gehäuse des HW in Lüdingworth wurde von Antonius Wilde 1598 gebaut und von Schnitger übernommen. Geht auch das Gehäuse in Oederquart auf eine Orgel von Antonius Wilde zurück?

1726: Johann Hinrich Klapmeyer aus Glückstadt führt eine Reparatur durch.

1781: Umfangreichere Arbeiten mit dem Neubau von zwei seitlich des RP stehenden Pedaltürmen mit 6 Registern führte Johann Daniel Busch durch. Dieses Instrument, das wegen seiner Bedeutung weit über die Grenzen des Landes Kehdingens hinaus bekannt war, bezeugte ein hohes geistliches, geistiges und kulturelles Engagement der Oederquarter Gemeinde.

Die Disposition der Orgel lautete (Aufzeichnung nach Renken 1830):

Hauptwerk   Rückpositiv   Brustwerk   Pedal  

Principal

8’

Principal

4’

Gedact

4’

Principal

8’

Quintadena

16’

Gedact

8’

Octav

2’

Subbaß

16’

Gedact

8’

Octav

2’

Regal

8’

Octav

4’

Octav 4' Sesquialtera II     Posaune 16'
Gedact 4' Mixtur IV     Trompete 8'
Nasat 3' Dulcian 8'     Trompete 4'
Octav 2' Schalmey 4'        
Gemshorn 2'            
Quinte 1 1/3'            
Rauschpfeife II            
Mixtur IV-V            
Trompete 8'            

Manualumfang: Kurze Oktave CDEFGA – c’’’, Pedalumfang CDE – d’ (Johann Daniel Busch; Itzehoe 1781), Zimbelstern, Tremulant, Kalkantenzug, Pedal-Koppel, 6 Bälge, 1 Ton ünder normal, wahrscheinlich mitteltönig

1801: Georg Wilhelm Wilhelmy (Stade) führt eine Reparatur an Windanlage und Bälgen durch.

1864/65: Bis ins 19. Jahrhundert bestand die Orgel in ihrem weitgehend ursprünglichen Zustand. Dem sich wandelnden Geschmack der Zeit fiel die ursprüngliche Konzeption dieser wertvollen Orgel zum Opfer, ein Schicksal, das die Oederquarter Orgel mit vielen anderen Orgeln teilen mußte.
Während es im 18. Jahrhundert zunächst noch behutsame Änderungen waren, geschahen radikale Eingriffe in die Substanz der Orgel in den Jahren 1864/65 durch die Stader Orgelbauwerkstatt Johann Hinrich Röver. Die Orgel wurde im Inneren ganz neu gebaut. Es blieb das Gehäuse und die nun nicht mehr klingenden Prospektpfeifen erhalten. Die Orgel besaß nun folgende Disposition:

Hauptwerk   Rückpositiv   Oberwerk   Pedal  

Principal

8’

Lieblichgedact

8’

Geigenprincipal

8’

Principalbaß

16’

Bordun

16’

Salicional

8’

Lieblichgedact

16’

Subbaß

16’

Hohlflöte

8’

Flautodolce

4’

Flautotraverso

8’

Octavbaß

8’

Viola da Gamba 8'     Gedact 8' Gedactbaß 8'
Gedact 8'     Flautotraverso 4' Octave 4'
Octave 4'         Riem 16'
Octave 2'            
Mixtur III            
Riem 8'            

Manualumfang: c – f’’’, Pedalumfang C – d’, Manualkoppel I und II, 4 Bälge (noch heute vorhanden), Tonhöhe: normal, Kegelladen, Spiel- und Registertraktur mechanisch

1907/09: Erst im Jahr 1907/09 wurde die Orgel durch die Fa. Furtwängler und Hammer (Hannover) von der Nordseite der Kirche (sie stand vor dem Mauerbogen zum Altarraum) auf die Empore auf der Westseite verlegt. HW und Pedal werden in eine Front gebracht. Vom RP wird nur der Prospekt aufgestellt.

196x-1971: Die Orgel Arp Schnitgers bestand in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts nur noch in wenigen rudimentären Teilen. Der Zustand der Orgel war so schlecht, daß der Kirchenvorstand der St. Johannes-Gemeinde einen Orgelneubau beschloß. Es entstand ein Instrument mit nur 12 Registern auf 2 Manualen hinter der alten Fassade von Hauptwerk und Rückpositiv unter Verwendung einiger alter Pfeifenreihen des 17. und 19. Jahrhunderts. Diese Orgel fand ihren vorläufigen Bauabschluß im Jahre 1971. Der Neubau eines Pedals blieb bei diesen Arbeiten unberücksichtigt, und es kamen nur die vorderen Rahmenteile des Gehäuses und die alten Pfeifen zur Aufstellung, ohne dass diese alten Pedalpfeifen zum Klingen gebracht wurden. Leider wurde bei dieser Baumaßnahme eine fachgerechte Restaurierung der alten Pfeifen in Hauptwerk, Rückpositiv und Pedal außer Acht gelassen.

2000: Von Anfang an befriedigte der Zustand der Oederquarter Orgel nicht und stellt im Orgelbau Niedersachsens ein einzigartiges Torso dar. Diese Orgelsituation täuschte durch ihren schönen alten Prospekt eine klangliche Pracht vor, die die dahinter stehende Orgel mit ihrer klanglichen Qualität in keiner Weise halten konnte. In Oederquart besteht im Vergleich zu manch anderen Orgeln aus der Werkstatt Arp Schnitgers eine besondere Situation. Da Schnitger die sichtbaren Pfeifen anderer Orgeln im Prospekt zumeist aus blankem Orgelmetall mit einem hohen Zinnanteil baute, mußten diese Pfeifen im ersten Weltkrieg für Kriegszwecke abgegeben und eingeschmolzen werden. In Oederquart jedoch besitzen die Prospektpfeifen eine andere Optik - sie sind grau und suggerieren einen hohen Bleianteil in der Legierung - und durch diesen Umstand blieb den Prospektpfeifen dieser Orgel das vernichtende Schicksal erspart. Somit besteht in Oederquart die seltene Situation eines nahezu vollständigen Bestandes an originalen Prospektpfeifen (3 Register, das sind: Hauptwerk - Prinzipal 8', Rückpositiv - Prinzipal 4' und Pedal - Prinzipal 8'). Daneben gibt es im Hauptwerk noch in Gedackt 8’, Oktave 4' und Oktave 2' alte Pfeifen, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Es besteht seitens der Kirchengemeinde und der Fachwelt der Wunsch und die kulturelle Verpflichtung, den historischen, überaus wertvollen Orgelprospekt mit seinen Pfeifen fachgerecht restaurieren zu lassen, im Pedal die alten Pfeifen auch wieder zum Klingen zu bringen und die gesamte Orgel im Sinne Arp Schnitgers zu vervollständigen.

Diese gesamten, kostenintensiven Maßnahmen könnten in mehreren Bauabschnitten durchgeführt werden:

  1. Neubau der fehlenden Pedalregister

  2. Restaurierung der Prospektpfeifen, Vervollständigung des Pedalgehäuses und Neubau der technischen Anlage für das Pedal

  3. Nachrüstung des bestehenden Orgelwerks im Hauptwerk und Rückpositiv

Der erste große Bauabschnitt konnte nun durchgeführt werden und in der Woche vor dem 3.12.2000, dem 1. Advent beendet werden. Die Arbeiten wurden von Orgelbau Hillebrand, Altwarmbüchen unter der Leitung von OBM Martin Hillebrand durchgeführt.
Es wurde das Rückpositiv auf eine der Gesamtaufstellung der Orgel sinnvolle Position zurückversetzt. Somit wurde das im tragenden Balken eingeschnitzte Spruchband wieder freigelegt. Dieses wurde früher durch das weit vorstehende Rückpositiv weitestgehend verdeckt.
Die seitliche Empore wurde eingezogen und die Pedaltürme nach dem Vorbild des „Hamburger Prospektes" in die Emporenbrüstung eingebaut.
Das Pedal wurde mit den Registern, die bereits Busch gebaut hatte, wieder versehen unter Verwendung der 14 alten Prospektpfeifen von Busch.
Der Balg wurde überholt und neu beledert.
Die gesamte Orgel bekam eine Einstimmung auf weiterhin a’ = 440 Hz.
Die Temperatur wurde nach Bach/Kellner gewählt.

Die Orgel besteht nun mit folgender Disposition:

Hauptwerk

 

Rückpositiv

 

Pedal

 
Principal 8' (S) Prospekt Rohrflöte 8' (1971) Subbaß 16' (2000)
Gedackt 8'(R) Principal 4'(S) Prospekt Principal 8' (B)
Octave 4'(R) Blockflöte 4' (1971) Octave 4' (2000)
Octave 2'(R) Waldflöte 2' (1971) Posaune 16' (2000)
Mixtur (1971) Terzian III (1971) Trompete 8' (2000)
    Dulzian 16' (1971) Trompete 4' (2000)

Pfeifenwerk: S = Arp Schnitger 1678 – 1682;
B = Johann Daniel Busch 1781
1971 und 2000 = Orgelbau Hillebrand
Manualumfang: C – f’’’, Pedalumfang: CDE – d’