Article of the organbuilder in the book "O Mosteiro Crúzio de Moreira - Historia Arte e Música"
by José A. Maia Marques, Geraldo J.A. Coelho Dias, Victor Gomes Teixara, Georg Jann, Antonio M. Mendes Melo
ISBN 972-98578-0-6 Page 62-77

WIE ICH DIE ORGEL VON ARP SCHNITGER IN MOREIRA DA MAIA ENTDECKT UND RESTAURIERT HABE

Georg Jann Orguian

DIE VOR - UND GESCHICHTE DER ORGEL
Heute kann ich nicht mehr genau sagen, wann ich die Orgel in Moreira da Maia zum ersten Male gesehen habe, es muss aber ca. 1986 gewesen sein, als Conego Padre Ferreira dos Santos mit mir verschiedene Kirchen in der Region um Porto besuchte, um meine Meinung über einige Instrumente zu hören.
Die Orgel in der Kirche S. Salvador de Moreira fiel mir sofort auf: das war keine iberische Orgel! Sie sah ganz nach norddeutschem Barock aus und ich machte dann 1987 mein erstes angebot zur Restaurierung dieser Orgel - aber es fand keinerlei Beachtung.
Ich aber verlor die Orgel nicht aus dem Sinn! Im August 1992 bat ich Hernn Uwe Droszella, den damaligen Orgelsachverständigen der Ev. Landeskirche Hannover, ein Gutachten über das Instrument zu schreiben. Er kam, untersuchte das Instrument und stellte fest, dass meine Vermutung richtig war: es handelte sich wirklich um ein Instrument aus der Werkstatt des berühmten Orgelbauers Arp Schnitger!
Alle Versuche, Geld für eine Restaurierung zu beschaffen, schlugen fehl - darum habe ich kurzentschlossen an den damaligen deutschen Bundespräsidenten, Prof. Dr. Richard Weizäcker, einen Brief geschrieben, in dem ich ihn darum bat, die Restaurierung zu unterstützen - handelte es sich doch um ein wertvolles Stück deutscher Handwerkskunst. Den Brief hatte ich im Juni 1994 geschrieben. Im Juli 1994 hatte ich bereits die Zusage vom Auswärtigen Amt, die Restaurierung mit DM 100.000,00 zu unterstützen.
Eine solche Zusage dürfte nicht in den Wind geschrieben werden -also mussten weitere Geldgeber gefunden werden.
In der Zwischenzeit hatte ich mich entschlossen, Deutschland zu verlassen und eine eigene Firma in Portugal aufzubauen, und so wurde im November 1995 die Firma ORGUIAN Georg Jann mestre organeiro, Lda. in Santo Tirso gegründet.
Nun konnte ich mich "vor Ort" um die Maia Orgel kümmern. Durch die Vermittlung von Hernn Dr. Rigaud bekamen wir Kontakt zu Herrn Dr. Antonio M. Melo, Vertreter der Comissão de Coordenacão da Regiao Norte.
Er machte uns mit der Möglichkeit bekannt, eine Kandidatur bei der Pronorte einzureichen. Nun war auch die Stadt Maia bereit, bei der Finanzierung des Projektes mitzuhelfen. Die Finanzierung war nun gesichert.
Aber inzwischen waren doch wieder zwei Jahre vergangen! Zwölf Jahre hatte ich bereits für den Erhalt der Orgel gekämpft und jetzt drohte Deutschland im Zuge der Sparmassnahmen die Mittel zu kürzen, wenn die Restaurierung nicht sofort in Angriff genommen würde! Im September 1997 machten wir ein erneutes Angebot und am 19. April 1998 wurde der Restaurationsvertrag mit der Firma ORGUIAN Lda. geschlossen.
Nun ist das Werk abgeschlossen und ich möchte allen danken, die dazu beigetragen haben, der "alten Dame", die so lange Zeit unerkannt und vergessen war, wieder Leben einzuhauchen.

DIE RESTAURIERUNG
Im Mai 1998 haben wir die Orgel in der Kirche abgebaut - und was wir dabei sahen, war traurig: zwischen den Pleifenfüssen hatten sich Mäuse hauslich eingerichtet! Mit Papier- und Stoffresten hatten sie ihre Nester gepolstert, die Pfeifen angenagt - und wurde der Raum zwischen den Pfeifen zu klein für den Familienzuwachs, wurde Platz geschaffen,indem die störenden Pfeifenfüsse einfach abgefressen wurden!
Der Schmutz, der sich in den vielen, vielen Jahren angesammelt hatte, füllte den gesamten raum zwischen Windlade und Rasterbrettern aus irgendein "Sturm" war im Laufe der Jahre wohl auch durch die Orgel gegangen, denn das Pfeifenwerk lag kreuz und quer durcheinander. Aus diesem Grunde bat ich Herrn Droszella, bei der Sortierung und Identifizierung der Pfeifen zur Verfügung zu stehen. Bei der gemeinsam durchgeführten Arbeit haben wir dann feststellen können, dass zwar sehr viele Pfeifen von den Mausen angefressen und in einem schlimmen Zustand waren, dass aber nur sehr wenige fehlten.
Nun begann die Arbeit der Rekonstruktion des Instrumentes, das vermutlich nicht für die Kirche des damaligen Klosters Sao Salvador de Moreira gebaut worden war; sondern erst später dorthin gekommen ist. Ob die Orgel bei diesem Platzwechsel oder schon früher umgebaut wurde, lässt sich mit Sicherheit nicht feststellen - oder vielleicht noch nicht - auf jeden Fall aber wurde aus der zweimanualigen eine einmanualige Orgel gemacht - das ergaben die Studien an der Windlade. Sogar ein Gruppenzug (cheio) wurde durch das Zusammennageln mehrerer Registerzüge hergestellt!
Zu unserer grossen Verwunderung mussten wir bei den Studien am Wellenbrett dann noch feststellen, dass die Spielanlage von vorne nach hinten verlegt worden war.
Warum? Hinterspielige Orgeln waren in Klostern sehr oft vorzufinden, weil nur dadurch verhindert würde, dass "ungeweihte" Organisten die Klausur betraten - und da war ein kleiner Seitenbalkon, wie der in der Kirche São Salvador der ideale Platz.
Da wir nun eindeutig belegen konnten, dass die Orgel ursprünglich zweimanualig und vorderspielig war, gab es keinen Zweifel, dass dieser Originalzustand wieder hergestellt werden musste.
Der Orgelbaumeister Christoph Weber, der die Orgel mit grosser Genauigkeit gezeichnet hat, legte die Grundlagen zu allen unseren Erkenntnissen.

DIE GROSSE ENTDECKUNG
Das Gehäuse und die Holzpfeifen hatten im laufe der Jahrhunderte sehr gelitten. Da alle Verbindungen, wie im 18. Jahrhundert üblich, mit Knochenleim geleimt waren, hatten sich diese besonders durch Feuchtigkeit gelöst. Schimmel und Nagetiere haben das Ihre dazu getan - jedenfalls mussten alle Holzverbindungen neu verleimt werden. Dazu war es nötig, das gesamte Gehäuse zu zerlegen.
Bei diesen Arbeiten kam es zu der grossen Entdeckung: als der linke Spitzturrn zur Neuverleimung hergerichtet wurde, kamen zwei lnschriften ans Licht:

  1. "bey (Herrn) Schnitger im Arbeit" und
  2. "Johan Bunda Tischler hat die ????? gemacht. Anno 1701"

Es war ein Feiertag!!!!, denn nun war der unzweifelhafte Beweis erbracht, dass das instrument wirklich und wahrhaftig von Arp Schnitger hergestellt wurde.
Einen weiteren Beweis erhielten wir bei den Arbeiten an der Balganlage. Wir fanden eine Zettel mit der Aufschrift:
    "Anno 1701 den 9 May ist d…… fertiget.
     Dass ………. durch die hand des Herrn Arp Schnitger, Orgelmacher in Hamburg
".
Die Lücken sind vorhanden, weil bei den Umbauarbeiten am Balg diese Aufschrift mit einem Bohrer durchbohrt wurde.

DAS GEHÄUSE
Die Restaurierungsarbeiten am Gehäuse, insbesondere an den Schnitzerien, haben ergeben, dass hier "zwei Hände" gearbeitet haben: wohl im 19. Jhdt. wurden die schlichten Füllungen im unteren Teil der Orgel mit pompösen, dein damaligen portugiesischen Geschmack entsprechenden Schnitzerien versehen. Diese Arbeiten sind leicht als eine spätere portugiesische Zutat zu identifizieren, weil sie von Stil und Material nicht dem Original entsprechen - wir haben sie nicht wieder angebracht.
Am Orgelgehäuse gibt es auf der linken Seite eine Schnitzerei, die zwar aus dem Hause Schnitger ist, ursprünglich aber nicht hierher gehört haben kann.
Da an diesem Instrument kein anderer logischer Platz für dieses Ornament zu finden ist, liegt es nahe anzunehmen, dass es zu einer anderen Schnitger-Orgel gehört hat - vielleicht zu der Schwesternorgel die auch 1701 nach Portugal gekommen ist? Im Augenblick ist eine Antwort auf diese Frage noch nicht möglich.
Stücke von Profilen und Ornamenten, die sich unter den durcheinander liegenden Pfeifen und dem Dreck fanden, wurden, wie bei einem Puzzle, wieder zusammengefügt. Fehlende Teile und nicht auffindbare Schnitzereien wurden mit grossem geschick und Einfühlungsvermögen von der Firma Arte e Talha gefertigt. Die seitlichen Ohren sind eine vollkommene Neuschöpfung im Stile von Arp Schnitger.
Die farbliche Fassung des Gehäuses ist wohl nicht orginal. Wahrscheinlich war das Instrument ohne jeglichen Anstrich, denn das Eichenholz ist von höchster Qualität.
Leider ist es uns trotz wiederholter Versuche durch Telefonate und Einschreibebriefe nicht gelungen, mit der in Portugal zuständigen Stelle für Denkmalpflege - lPPAR - Kontakt aufzunehmen, um über speziell die Restaurierung der Farbfassung zu sprechen. So haben wir die von der IPPAR anerkannte Firma Porto Restauro mit der Aufgabe betraut, die Farbfassung nach ihrem Ermessen zu bearbeiten.
Fehlende Farbe und Vergoldung wurden dabei nicht ergänzt, sondern es wurde "ein Kompromiss geschaffen zwischen Konservierung und Restaurierung mit dem Ziel, dem Original so nahe wie möglich zu kommen, Zeichen seiner Geschichte, die Patina der Zeit aber nicht auzulöschen."

DER BALG
Der Balg der Orgel hatte ebenfalls einen Umbau erfahren. Aus anderen erhaltenen Balganlagen von Schnitger Orgeln wissen wir, dass er normalerweise Balganlagen mit Froschmaulbälgen gebaut hat, das sind Keilbalge mit einer Falte. Leider ist keine Balganlage für eine Orgel in der Grösse der Maia-Orgel mehr erhalten.
Aber dann fanden wir in der Orgel noch die alten Lagerpunkte und die zwei originalen Balgplatten - sie waren für den Bau des neuen Balges verwendet worden. An der Innenseite dieser Balgplatten liessen sich nun alle notwendigen Angaben für eine Wiederherstellung eines Keilbalges ablesen: die Breite der Falten, der Kanaleinlass, die Ventilgrössen.
Wir haben nun wieder einen Keilbalg hergestellt und haben ihn mit einem Schöpfer und drei Falten ausgestattet. Damit hat der Balg einen Aufgang, der dem im unteren Raum des Gehäuses zur Verfügung stehenden Platz entspricht. Auch erschien uns das so erhaltene Volumen den 12 Registern angemessen.
Für den Durchgang des Trittes für den Schöpfbalg gilt es im Orgelfuss zwei Schlitze, einen vorne, den anderen hinten.
Da der nach hinten führende Schlitz grössere Abriebsspuren besass, haben wir diesen für den jetzigen Tritt wieder benutzt. Das auch noch vorhandene Lager für den Haupttrittbalken, der den Schöpfer bewegt, ermöglichte es uns, den Weg des Trittgestänges zu rekonstruieren.
Die von uns gebaute Balganlage funktioniert heute so gut, dass man davon ausgehen kann, dass wir das Original getroffen haben.

DIE TONMECHANIK
Die Tonmechanik war anhand von vielen Einzelteilen leicht zu rekonstruieren.
Die vorhandene klaviatur war original, war aber im Zuge der Verlegung des Spieltisches verandert worden. Ein erneuter umbau wäre mit dem weiteren Verlust historischer Substanz verbunden gewesen. Wir haben uns deshalb entschlossen, die alte zu erhalten und zwei neue Klaviaturen anfertigen zu lassen.
Wir danken der Firma Führer in Bremen, die gerade eine Schnitger-Orgel in Dedesdorf mit noch originaler Klaviaturanlage restaurierte, dass sie uns freundlicherweise alle notwendigen Unterlagen zur Verfügung gestellt hat, und der Firma Werner Baumgartner in Neuenreuth/Bayreuth, die die Kiaviaturen mit grosser Perfektion kopiert hat.
Die Messingwinkel für die Innenmechanik stellten wir ebenfalls nach dem Dedesdorfer Original her.
Das originale Wellenbrett war noch vorhanden, allerdings mit veränderten Wellen, wie sie durch die Verlegung der Spielanlage notwendig gewesen waren.
Durch die Wiederherstellung der ursprünglichen Spielanlage, nämlich vorne, konnten wir das Wellenbrett für das erste Manual anhand der noch sichtbaren Lagerpunkte einwandfrei rekonstruieren. Das Wellenbrett für das zweite Manual wurde entsprechend konstruiert.
An den originalen Wellen sind keine Spuren irgendeiner Veränderung zu finden, und so muss man feststellen, dass Schnitger die Wellenbretter nach portugiesischer Art gebaut hat

DIE METALLPFEIFEN
Für die Restaurierung der Metallpfeifen muss Material in der gleichen Legierung der Originalpfeifen vorbereitet werden. Es wurde eine Metallanalyse gemacht und wir liessen die exakte Legierung in einer Spezialfirma herstellen.
Wir gossen dann die Platten, die so bearbeitet wurden, wie es zu Schnitgers Zeiten üblich war: hobeln und bearbeiten von Hand. Die Restaurierungsarbeiten mussten von einem Spezialisten ausgeführt werden. Deshalb baten wir Hernn Christoph Metzler aus der Schweiz.
Er erledigte sie in den Monaten März und April 1999 zusammen mit seinem Kollegen Rudi Sidler.
Mit grosser Akribie haben die Beiden die von den Mäusen gefressenen Löcher ausgebessert oder neue Spitzen an die Pfeifen gebaut, haben angelängt, wo es nötig war und neu gemacht, wo Pfeifen fehlten.
Die Prospektpfeifen würden alle neu hergestellt, weil die originalen nicht mehr restaurierbar waren: das sehr hochprozentige Material erwies sich als brüchig und durchlöchert.
Leider konnte bisher noch nicht festgestellt werden, wodurch diese Schäden entstanden sind - auf jeden Fall sind die Pfeifen erhalten und könnten Ansstellungsstücke in einem speziellen Museum werden. (Übrigens existiert auch noch ein Mausekiefer!!)
Es ist interessant, das die Schäden nur an den hochprozentigen Prospektpfeifen (90% Sn) aufgetreten sind, nicht aber an den lnnenpfeifen, die eine Legierung von 40% Sn haben. Offensichtlich spielte der hohe Zinnanteil die massgebliche Rolle bei der Entstehung der Schäden.

DIE TONHÖHE
Die Orgel hat fast den normalein Kammerton von 440 Hz., was sehr ungewöhnlich ist, weil in Deutschland zu dieser Zeit die Instrumente normalerweise ein 1/2 Ton höher standen. Offensichtlich musste Schnitger da einen Kompromiss mit seinem Auftraggeber eingehen.
Für die Pfeifen im Prospekt gab es da Schwierigkeiten, und um hier die tiefere Stimmung zu erreichen, wurde eine neue Pfeife aus Holz als tiefes C in den Mittelturm der Orgel gestellt und die Kondukten für den Prospekt würden so verändert, dass aus der mittleren Pfeife -original C - ein D wurde und so weiter.
Auf diesem Pfeifen finden sich auch 2 Töne angeschrieben, aber ab der 2 2/3'-Lage stimmt die Signierung der Pfeifen mit der tiefen Tonhöhe überein. Es ist also ganz offensichtllich, dass die Tonhöhe von 440 Hz wirklich die von Schnitger gelieferte Tonhöhe ist.
Ein anderes Problem brachte offensichtlich das Gedackt 8' ins 1. Manual. Wahrscheinlich war es ein Quintatön 8', ein Register, das in vielen Schnitger Orgein zu finden ist. Für das 1. Manual mit insgesamt 10 Registern war es vielleicht zu wenig tragfähig, deshalb hat man die Mensur weiter gemacht durch "Aufrücken", wie man im Orgelbau sagt.
Auf dem Rasterbrett sieht man noch die Risse, die vorher angelegt würden, um festzustellen, welchen Durchmesser die Pfeifen haben durften, und dann wurde bis zur grösstmöglichen Weite aufgrückt.
Dementsprechend eng stehen heute die Pfeifen an dieser Stelle.
Zum Schluss möchte ich sagen, dass sich die langen Bemühungen um die Restaurierung dieser Orgel gelohnt haben. Mich persönlich erffült es mit Freude und Stolz, dass es mir möglich gemacht wurde, diese Orgel zu retten und in ihren Originalzustand zurückzuversetzen, besonders auch, weil es gelungen ist, in fachgerechter Arbeit die wohl originalste Schnitger Orgel der Nachwelt zu übergeben.