Dieser Text stammt aus dem Buch durch Uwe Pape beim LP "Festliche Orgelmusik im Schloss Charlottenburg Berlin" ORGELDOKUMENTE 10 FSM 63710POD Pape Verlag Berlin

Unter Leitung des Baumeisters Eosander Goethe wurde nach 7, 1700 der erste Teil des Charlottenhurger Schlosses durch groszügige Anbauten erweitert. Hierzu gehört auch die Kapellle des Schlosses, die unter dem Namen Eosander-Kapelle in die Kunstgeschichte eingegangen ist.

Für den Orgelbau verpflichtete man den Hamburger Meister Arp Schnitger. Es ist bemerkenswert, dass nicht der Hoforgelbauer Christian Werner oder Johann Nette mit dem Bau der Orgel beauftragt wurden. Anfang 1706 verhandelte man mit dem Orgelbauer in Hamburg und versprach ihm die Pflege der Orgeln im Berliner Dom und in den Schlössern zu Oranienburg und Potsdam.

Die Autorschaft Schnitgers ist aufgrund der besonderen baulichen Verhältnisse und einiger für den Hamburger Meister untypischen Charakteristika an der Orgel oft in Zweifel gezogen worden. Nachdem aber Gustav Fock 1928 in den Bauakten des Brandenburg-Preussischen Hausarchivs Angaben über die Bauausfuhrung und Fertigstellung durch Schnitger gefunden hatte, bestehen keine Zweifel, dass das Instrument ein in wesentlichen Teilen von Schnitger und seinem Meistergesellen Lambert Daniel Carstens erbautes und fertiggestelltes Werk war. Schnitger setzte bald nach der Verhandlung in Hamburg Mitarbeiter seiner Werkstatt für den Neubau ein. Aus einer Beschwerde des Orgelbauers Nette im April geht hervor, an der neuen Orgel in Charlottenburg baue "einer namens Lampertus, welcher Mann den Sachen, soviel er wisse, nicht gewachsen sei". Der Bau erfolgte zur Hauptsache in den Monaten Oktober und November des Jahres 1706 und wurde von Schnitger persönlich überwacht. Mit der Ausführung hatte man es sehr eilig; auf besonderen Wunsch der Köinigin Charlotte sollte die Kapelle nicht vor Fertigstellung der Orgel übergeben werden. Die Einweihung fand vermutlich kurz nach der Hochzeit des Kronprinzen im Dezember 1706 statt. Dies geht aus einem Brief hervor, den Schnitger am 6. November 1706 an den Pastor in Jade, Oldenburg, richtete:

"….übrigens hette Sie gerne am verwichenen Sommer besuchet, Ich bin aber darvon abgehalten, da Ich nach diesen Ohrte gefordert, und vor Ihro königl. Mayst. in Preussen, ein kostbahr werck in dero Capell zu Charlottenburg baue, wormit hoffentlich in drey oder vier wochen mit Gottes Hülffe fertig sein kan, und wird die Capelle, so in allen Stücken sehr Raar aufgebauet, gleich 8 tage nach dem Beylager eingeweyhet werden, so muss so lange Fuss halten biss dass vorbey, und verhoffe Ich negst Gott kurts nach weynachten auff Ihre Nachbarschafft auch bey Sie Zu kommen,…."

Die neue Orgel muss volle Anerkennung gefunden haben: der König schrieb an seine Schwester, die Kurftirstin Sophie von Hannover:

"…., aber hier habe Ich einen guhten orgel bauer, welcher die meinige in der capel gemachet. Demselhen wil wol überschicken wan es verlanget wird und ist sehr resenabel."

Da Eosander bei der Planung der Kapelle keinen Platz für die Orgel vorgesehen hatte, sah sich Schnitger vor eine schwierige akustische Aufgahe gestellt. Die kleine Kapelle hat ein Seitenschiff, das sich mit drei Rundbogen zum Kapellenraum öffnet. Auf den Mittelteil der in die Kapelle hineinragenden Empore stellte Schnitger ein mit einem Principal 8' ausgestattetes Rückpositiv. An der Ruckwand des Seitenschiffes kamen Hauptwerk und Pedalwerk mit gleicher Principalbasis zu stehen.

Hauptwerk (II)   Rückpositiv (I)   Pedalwerk  
C, D, E-c3   C, D, E- c3   C, D, E-d1  
Principal 8' Principal 8' Subbass 16'
Gedact 8' Gedact liebl. 8' Octav 8'
Floite dues 8' Octav 4' Octav 4'
Octav 4' Floite dues 4' Nachthorn 2'
Viol de Gamb 4' Octav 2' Mixtur 6fach
Nassat 3' Waldfloit 2' Posaunen 16'
Super Octav 2' Sepquialt 2fach Trommet 8'
Mixtur 4fach Scharf 3fach Cornet 2'
Hoboy 8'        
Vox humana 8        

Schleifladen mechanische Traktur drei Sperrventile, Tremulant, Tonhöhe fast einen Ganzton unter Normalstimmung. Hatte Schnitger wie bei seinen anderen Orgeln das RückpositivGehäuse in Türme und Flachfelder aufgeteilt, wäre der tief heruntergezogene Gewölbebogen vollständig ausgefüllt, und Hauptwerk und Pedal wären in ihrer Klangentfaltung noch viel stärker gehemmt worden, als es die architektonischen Bedingungen ohnehin schon mit sich bringen. Andererseits hat man extrem unglückliche Verhältnisse am Spieltisch, weil sich das stark intoniertes Hauptwerk und das gemässigt intoniertes Rückpositiv dort klanglich kaum vereinen lassen. Heitmann beschreibt 1937 den Eindruck an der Orgel, als er über die allwochentlichen Orgelstunden in den Sommersemestern der Berliner Musikhochschulen berichtet: "Es ist klar, dass der Organist bei dieser Situation gar nicht beurteilen kann, wie sich die einzelnen Klaviere in der Klangstärke und auch Klangfarbe in der Kapelle auswirken. Er wird sich einen in der Orgelmusik erfahrene Assistenten mitbringen müssen, der in der Kapelle abhört oder der ihm durch übernahme des Spiels selber die möglichkeit des Abhörens der geplanten Registrierung gibt. Nur so ist eine wirklich einwandfreie klangliche Gestaltung der vorzutragenden Werke gewährleistet. Es ist gut, dass die Schnitger-Orgel unsere Studierenden in eindringlicher Weise gerade an diese für das Orgelspiel ungemein wichtigen akustischen Fragen heranführt. Dass es sich bei gutem Orgelspiel um ein bei aller aller Temperamentsentfaltung raumbedingtes musikalisches Gestalten handelt, wird im allgemeinen zu wenig beachtet. Die Erfordernisse des Raumes erstrecken sich ja nicht nur auf die Klangstärke und -farbe, sondern ebenso sehr auf das Tempo und die Anschlagart. Was in dem einen Raum in dieser Beziehung gut erscheint, muss an einem andern Ort manchmal erheblich modifiziert werden.

Der kleine Kapellenraum hält den Orgelklang gut zusammen, so dass auch kompliziert polyphone Werke in allen Einzelheiten klar zu vernehmen sind.

Wie selbstverständlich ergeben sich auf dieser Orgel alle Massnahmen der Interpretation! Hier kommt man auf den Grund der Dinge. Müht man sich an einem klanglich weniger ergiebigen Instrument mit vielfachen Registrierungsversuchen und Experimenten, um zuletzt doch nur ein wenig befriedigendes Ergebnis zu erreichen, so hat man an dieser Orgel unter Mithilfe des abhörenden Assistenten in verhältnismässig kurzer Zeit eine geradezu ideale klangliche Gestaltung gefunden.

Nicht nur die architektonische und klangliche Gestaltung sind bemerkenswert, auch orgelbautechnosche besonderheiten geben der Orgel eine in Schnitgers Lebenswerk ungewöhnliche Stellung. Hierzu schreibt Fock, sicher bezugnehmend auf Reimann, in seiner Schnitger-Biographie:

"Die Konstruktion der Windladen (Ganztonteilung statt Terzteilung, Nebeneinander von zwei Schleifen ohne trennenden Damm, unverspundet, einfach mit Leder zugeklebte Unterseite der Kanzellen) befremdete ebenso sehr wie die starke Verwendung von Föhrenholz für Pfeifenwerk (HW: Floite dues 8', RP: Gedact 8', Floite dues 4', Ped: Subbass 16', Octav 8', Posaunen 16'), Rastbretter, Wellen, Wellenbretter und Kanäle. Auch wies ein grosser Teil der Metallpfeifen eigenartige, spitz hochgezogene Oberlabien auf, wie sie sonst aus Schnitgers Werkstatt nicht bekannt sind. Sucht man nun nach einer Erklärung, so ist man ganz auf Mutmassungen angewiesen, da eingehendere Akten darüber nicht erhalten sind.

Die Pflege des Instrumentes hat in den ersten Jahren nach mseiner Erbauung Schnitger selbst wahrgenommen. Am 1. September 1708 wurde der Meister zum Preussischen Hoforgelbauer ernannt. Wieviele Jahre er in Berlin zu tun hatte, können wir heute nicht mehr sagen. Vermudtlich war Schnitger wegen Zahlungsunfähigkeit des Domes und wegen des geringen Entgegenkommens der Schlossverwaltungen schon bald nach 1710 nicht mehr in Berlin tätig.

Die Orgel war bis zum Ende des letzten ]ahrhunderts unverändert erhalten geblieben. Um 1714 hat der Berliner Orgelbauer Andreas Seidel eine Stimmung ausgeführt. 1868 hat Karl August Buchholz das Werk gereinigt und repariert. Erst 1888 tauschten die Gebrüder Dinse, Berlin, anlässlich der Hochzeitsfeierlichkeiten des Prinzen Heinrich von Preussen die ManualZungenstimmen gegen Gambe 8' und Aeoline 8' aus. Über Jahre hinweg war die Orgel nahezu vergessen. Erst mit dem Einsetzen der Orgelbewegung brachte man dem Instrument wieder ein ärkeres Interesse entgegen. Fock schreibt 1931:

"Die Bestrebungen, diese Orgel für Stilkonzerte in dem schönen Capell-Raum neu zu beleben, gehen noch auf Hermann Kretschmar, den ehemaligen Direktor der Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin, zurück. Sein Nachfolger, Carl Thiel, beauftragte 1921 die firma W. Sauer, Kostenanschläge für die Instandsetzung des Werkes einzureichen. Während der Inflationszeit wurden diese Pläne zurückgestellt.

Kürzlich gelang es nun der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Mittel und Wege zur Wiederherstellung der Orgel zu finden. Den Anstoss dazu gab ihr eine öffentliche Werbung des Organisten Auler".

1931 und 1934 wurde die Orgel durch Karl Kemper, Lübeck, restauriert. Hierbei wurden auch Hoboy 8' und Vox humana 8' in der vermutlich alten Bauweise wieder eingefügt.

Die Firma Alexander Schuke, Potsdam, betreute seit 1936 die Orgel und führte 1938 durch Karl Schuke eine weitere grundliche Restaurierung durch.

1943 wurde die Orgel abgebaut und in den Kellergewölben des Berliner Schlosses gelagert, wo sie ein Jahr später beim Brand des Schlosses vernichtet wurde.

Nach dem Wiederaufbau des Charlottenhurger Schlosses wurde ein Sachverständigengremium einberufen, das die Rekonstruktion der Orgel beschloss. Karl Schuke führte die Arbeiten 1969/70 in enger Anlehnung an Aufzeichnungen aus der Vorkriegszeit aus.

Kenner des alten Instrumentes meinen, dass die neue Orgel klanglich nicht besser dem Original hätte nachgebildet werden können. Die Präsenz des Rückpositivs, die aussergewöhnliche Tragfahigkeit des Seitenraums für Hauptwerk und Pedalwerk. "…,der herrliche tragende Gesang der Einzelstimmen, die sprühende Frische der Mixturen" wie Heitman schreibt ergaben wie früher eine ungewöhnliche und zugleich bemerkenswerte Instrument-Raum-Kombination. Was bei vielen Rekonstruktionen und Nachschöpfungen nicht gelingt - hier gilt Heitmans Erfahrung aus den dreissger Jahren auch für das neue Instrument: "….weil die Orgel eben in allen Phasen wirklich klingt."

Literatur:

Auler, W.: Die Orgel der Schlosskapelle in Charlottenburg, Zeitschrift für Musik, Jg. 96, Nr. 10.
Fock, G.: Aus den Akten der Schnitger-Orgel zu Charlottenbnrg, Musik und Kirche, 1931, Heft 6, S. 288-291.
Fock, G.: Die Arp-Schnitger-Orgel in der Eosander-Kapelle des Charlottenburger Schlosses, Schallplattentext für die Aufnahme der Orgelmesse von Bach durch Fritz Heitmann (Telefunken).
Fock, G.: Arp Schnitger und seine Schule, Bärenreiter, Kassel, 1974.
Heitmann, F.: Erfahrungen an der Schnitger-Orgel der Charlottenburger Schloskapelle, Musik und Kirche, 1937, Heft 1, S. 32 ff., Nachdruck in: Voge, R.: Fritz Heitmann, Merseburger, Berlin, 1963.
Kaufmann, W.: Die Arp-Schnitger-Orgel in der Charlottenburger Schlosskapelle, Musik und Kirche, 1931, Heft 3.
Reimann W.: Zur Wiederherstellung der Schnitgerorgel im Schloss zu Charlottenburg, Musik und Kirche, 1932, S. 40 ff.