Peter Golon: Eine Lübecker Hausorgel in Stade

Die Geschichte der kleinen Hausorgel, die jahrzehntelang in der Lübecker St. Jacobi-Apotheke stand und sich jetzt im Haus der Familie Golon in Stade befindet, bedarf noch der intensiven Aufarbeitung.
Entsprechend können die folgenden Anmerkungen nur unter Vorbehalt gelten. Gleichwohl hat das vielfältig geäußerte Interesse an der Orgel dazu geführt, schon vor Abschluß der notwendigen Nachforschungen die vorliegende CD zu produzieren.
Ein an einer Pfeife der Orgel angebrachter handschriftliche Zettel hat folgenden Wortlaut:

"Diese Hausorgel ist etwa Ende des 18. Jahrhunderts angefertigt, Meister unbekannt, und gelangte um das Jahr 1890 etwa in den Besitz des Lübecker Domorganisten H. Ley. Das jetzige Pfeifenwerk kommt aus dem sogenannten Brustwerk (3tes Clavier) der alten Domorgel, welches durch den damaligen berühmten Orgelbauer Hamburgs Arp Snitger etwa im Jahr 1760 eingefügt wurde. Beim Neubau der Domorgel von Walcker 1889 ist das Pfeifenwerk dann von Ley in diese Orgel eingesetzt. Die jetzige Aufarbeitung ist 1910 durch C.W. Meyer - Lübeck Geibelplatz 6 bewerkstelligt

Schaut man sich das Instrument genau an und berücksichtigt die ansonsten bekannten Daten, muß man feststellen, dass der Schreiber des Zettels nicht gerade als erstklassiger Zeuge auftreten kann: Arp S(ch)nitger und 1760 lassen sich nicht zusammenbringen - allenfalls bei einem Zahlendreher: 1706; der Neubau der Domorgel durch Walcker erfolgte nicht 1889, sondern 1893 usw.

Außerdem erweist sich das Gehäuse der jetzigen Hausorgel als ein wahrscheinlich zusammengebasteltes Konglomerat, dessen früheste Teile (Unterbau, Klaviaturrahmen etc.) mitnichten dem späten 18., sondern eher der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zuzuweisen sind (vgl. Abb. 2). Man könnte vermuten, dass hier ein Hammerklavier mit vertikal angeordneten Saiten den Grundstock bildete.

Interessant ist, daß die Klaviatur einen Umfang von E - c’’’ aufweist, dem bis 1996 auch der Tonumfang entsprach. Der Unterteil des Instrumentes ist deutlich verändert worden: In das Vorsatzbrett wurde ein Loch für die die Schöpfbälge bedienenden Pedale eingesägt. Als Basis für die Pedale wurden Teile eines ehemals die Klaviatur eines anderen Instrumentes verschließenden Deckels verwendet.

Der Umfang der Klaviatur wäre allerdings auch so zu lesen: CDEFGA - c’’’, also als kurze Oktave. Dafür spricht auch, dass die Pfeife E nicht zum ursprünglichen Bestand gehört. Das Gleiche gilt für die erste nicht gedackte Pfeife, das e, das entsprechend auch nicht die bei f - b nachzuweisenden Gehrungsschnitte für die Verkröpfung auf einer Höhe von ca. 69 cm (vgl. Abb.3) aufweist. Dieser Umstand verweist auf das in dem erwähnten Zettel genannte Brustwerk (3tes Clavier) der Lübecker Domorgel (vgl. Abb. 1). Ganz offensichtlich wurde das aus Eiche gefertigte Register in der Tat dem Brustwerk einer alten Orgel entnommen, durch Ergänzen zweier Pfeifen auf annähernde „Normaltonhöhe" gebracht und in der großen Oktave von CDEFG-ABH auf EFF#GG#ABH verändert.

Über die Geschichte der von Arp Schnitger (durch seinen Gesellen Hans Hantelmann) 1696-99 im Lübecker Dom errichteten Orgel mit 45 Stimmen auf Hauptwerk, Brustwerk, Rückpositiv und Pedal sind bisher leider nur wenig Details bekannt. Weder Kontrakt noch Abnahmebericht sind erhalten. Die früheste Nachricht über die Disposition datiert von 1822. Der damalige Domorganist Brinkmann notiert für das Brustwerk ein hölzernes achtfüßiges Prinzipalregister. Ebenso nennt die Dispositionssammlung (1833ff.) des Orgelbaumeisters Theodor Vogt einen Principal 8 fuß von Holz die tiefe Octav gedeckt.

Die Frage ist nun, ob etwas gegen die Annahme spricht, dass das Register schon beim Bau durch Schnitger/Hantelmann entstanden ist. Vom Dispositions-Aufbau des Brustwerkes (vgl. Fock S. 160) und unter dem Gesichtspunkt des begrenzten Raumes eines Brustwerks-gehäuses wäre der hölzerne Prinzipal durchaus folgerichtig. Andererseits ließ sich bislang für die genannte Disposition keine Parallele bei Schnitger finden.

Über die Tatsache, dass die Schnitgersche Domorgel über eine kurze Oktave verfügte, gibt im Übrigen noch heute der im Lübecker St. Annen-Museum befindliche, reich gestaltete Spieltisch Auskunft.

Die im Besitz des Domorganisten Hermann Ley befindliche Hausorgel wurde Anfang des 20. Jahrhunderts (wahrscheinlich 1910 - vgl. Aufarbeitung durch C.W.Meyer, Geibelplatz - heute Koberg) durch den Gründer der St. Jacobi-Apotheke Bernhard (I.) Stolle für seine Frau erworben, die eine vorzügliche Pianistin war.

Bis 1996 blieb das Instrument denn auch im Besitz der Familie Stolle und in dem Gebäude der Apotheke Breite Straße 4 (gegenüber St. Jacobi - neben der Schiffergesellschaft - Nähe Koberg) - ausgenommen einige Jahre, in denen es Walter Kraft als Übungsinstrument für die St. Marien-Kantorei diente.

1996 erwarben die Eheleute Hannelore und Peter Golon die Orgel. In den Monaten Juli und August 1996 arbeitete Peter Golon in der Werkstatt von Jürgen Ahrend in Leer-Loga an dem Instrument: Demontage, Reinigung und Durchsicht aller Teile, Neubeledern der Bälge, Aufarbeitung des Gehäuses.

Mitarbeiter der Werkstatt ersetzten den aus minderwertigem Material gebauten, total verworfenen Stock auf der nach wie vor hervorragend funktionierenden mechanischen Kegellade (19. Jh.), und längten die Pfeifen E, F# und G# an, um daraus die Töne C, D und E zu erhalten. Es wurde also die kurze Oktave wieder hergestellt. Auf ein versetzen der Pfeifen zum erreichen der ursprünglichen Tonhöhe und das ausscheiden der beiden nicht ursprünglichen Pfeifen wurde verzichtet. Jetzt steht a’ bei 428 Hrz. (bei 19° Celsius). Einstimmung nach Werkmeister III. Eine vorsichtige Korrektur der Intonation steht noch aus. Winderzeugung alternativ durch Pedale (2 Schöpfbälge) oder einen den Magazinbalg direkt speisenden Ventilator.